woanders
Auswahl Décalcage 2005/2005
"wenn der mensch seine fassung verliert", Décalcage auf Holz, 89 cm x 149 cm, 2005
KONTEXT
„staunend mich“
Dr. Karin Dohrmann
„Die Heimatlosigkeit beruht in der Seinsverlassenheit des Seienden.“
Dieser Spruch Martin Heideggers mag einem beim Betrachten der Décalcagen von Georg Gaigl in Erinnerung kommen. Georg Gaigl versteht sich allerdings nicht als Dokumentarist dieser Heimatlosigkeit, sondern macht sich auf die Suche nach dem Verbleib des Seienden - seiner Ideenwelt - in einer Welt generalisierter Bilder. Auf dieser Spurensuche dienen ihm die Abfallprodukte der Mediengesellschaft - Kopien von Fotografien, Magazinausrisse, Videostills und computer-generierte Darstellungen - als Bildquellen. Zentrales Thema in Georg Gaigls Werken sind die „soft facts“, die Gedanken, Lebensgefühle und Emotionen des Individuums. In Komprimierung auf das Wesentliche werden einzelne Figuren zu Trägern dieser Ideenwelt, die er der konzeptionellen Ordnung seiner Kunst zugrunde legt.
Auf Porträtformat herangezoomt entschwinden die Personen, am Bildrand platziert, nahezu dem Aktionsrahmen. Die Innenwelt der Akteure zeigt sich in Gesten von Schmerz, Trauer und Rückzug, die durch die „Perspektivlosigkeit“ des Hintergrundes affirmiert wird. Diese auf ihren emotionalen Zustand fokussierten Gestalten setzt er mit Textbausteinen in Bezug, die zum einen als Meinungsäußerungen des Künstlers, zum anderen als Initialzünder für neue Assoziationsfelder des Betrachters verstanden werden können. Die Worte tauchen aus dem abstrakten Hintergrund auf und sind daher mehr Teil der Bildkomposition denn reines Kommunikationselement. Fragmentiert und isoliert scheinen die Personen und selbst ihre Gesten in der expressiven Farbigkeit des undefinierten Raumes aufzugehen. Und dennoch erhöht der assoziative Charakter der Farben dieser surrealen Landschaftsfragmente die semantische Aussagekraft der Bildakteure. Die Verletzlichkeit des Menschseins, die Entfremdung, Sehnsucht und Verankerung des Individuums bringt Georg Gaigl durch die Interaktion von Geste und Text zum Ausdruck. Zur Abrundung dieser Imagination bricht er, durch die Bearbeitung des Bildmaterials, die Oberfläche auf, verursacht Risse und Löcher - Verletzungen, die auch vor den Figuren nicht halt machen.
Scheinen seine Individuen in der traumhaft-abstrakten Welt seiner frühen Bilder noch die Möglichkeit zu haben, ihre Gefühle ausleben zu können, wird ihnen in den neuen Werken dieser Raum mehr und mehr entzogen. Die Figuren entfernen sich, werden klein in einer perspektivlos wolkigen Atmosphäre. Ihre Gesten reduzieren sich und die Haltungen drücken mehr und mehr den Rückzug ins eigene Ich aus. In den neusten Werken erweitert Georg Gaigl seine Bildsprache durch die Aufnahme von Stadt- und Landschaftsansichten. Der Mensch verliert sich in der Zivilisation, ist ein Fremdkörper in ihr. Es sind Kulissen, die jederzeit ersetzt werden können und das Phänomen der Globalisierung verdeutlichen. Wo immer der Mensch sich aufhält, die Probleme und die Umgebungen gleichen sich überall auf der Welt. Die Stadt- und Landschaftskulissen werden zu Stimmungsträgern, zu Projektionsflächen einzelner Lebensfragmente. Die Texte erscheinen nun klar geordnet am Bildrand und fungieren als Untertitel zu Figur und Kulisse, bilden so vernetzt eine eigene Sprachform aus.
Von den Bildern der starken Gesten und Farben ist Georg Gaigl zur Darstellung beunruhigend vertrauter Landschaften in pastellenen Farben gelangt, in der das in sich zurückgezogene Individuum von seiner existentiellen Umwelt bedrängt wird. Die neusten Werke Georg Gaigls sind Reflexion der Globalisierung, sind Icons der Cocooning-Tendenzen unserer Gesellschaft.